Habenhausen. Das 18. Habenhauser Schaffermahl in der Simon-Petrus-Kirche am Freitagabend hatte einen besonderen Schwerpunkt: Jens Lohse, erster Schaffer und Pastor der Gemeinde, legte den Fokus auf die deutsch-russische Freundschaft. 135 Teilnehmer kamen ins Kirchenschiff und zum Festbankett mit Stofftischdecken, Platzkarten und polierten Gläsern. Auf dem Programm, das am Nachmittag begann und bis in den Abend dauerte, standen Grußworte von Bürgermeister Carsten Sieling (SPD), dem russisch-orthodoxen Erzpriester Alexander Bertash, eine Rede von Wolfgang Kissel, Professor mit Schwerpunkten wie Russische Literatur und Kultur des 18. bis 20. Jahrhunderts, eine Rede von Gennady Kuznetsov, Musikjournalist und Kulturmanager aus Russland. Die Programmpunkte ließen unterschiedliche Blicke auf die deutsch-russische Freundschaft ahnen. Musikalisch brillierten Hyun Joo Na (Orgel), Anna Markova (Violine), Evgeny Cherpanov (Flügel). Zum Ausklang spielte die Gemeindeband Soulcake.
Erinnerung an Christian Weber
Lohse bezeichnete das Schaffermahl als „Kind dieses Jahrtausends“. „Wer Frauen nicht in Vorstände lässt, hat den Schuss nicht gehört. Wir lassen doch nicht die Hälfte der Menschheit vor der Tür stehen“, betonte er. Damit lieferte er einen deutlichen Kommentar zu Traditionsveranstaltungen wie Eiswettfest und Schaffermahlzeit im Rathaus, von denen Frauen weitgehend ausgeschlossen sind. Bürgermeisterin Karoline Linnert (Grüne) sei nicht zum Eiswettfest eingeladen worden, weil sie eine Frau sei. Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) erinnerte in seiner Rede zunächst an den verstorbenen Bürgerschaftspräsidenten Christian Weber. Er betonte vor allem auch den Beitrag Webers für die guten Beziehungen in Ostereuropa, insbesondere zur Partnerstadt Danzig. Sieling bedauerte, dass bei der Schaffermahlzeit im Rathaus nur vier von 300 Gästen Frauen gewesen seien, während in Hamburg beim Matthiae-Mahl, eine Tradition seit 1356, selbstverständlich Frauen geladen seien.
Weiter betonte Sieling die positive Entwicklung Bremens: Explizit nannte er die bessere Finanzlage Bremens, den Rückgang der Arbeitslosenzahlen, vor allem auch in Bremerhaven und den Abtrag der Schulden. „Wir können in Bremen stolz sein“, sagte der Bürgermeister. Kritik übte er an US-Präsident Donald Trump und dessen Beschuldigungen gegen Russland, Verträge gebrochen zu haben „Es ist Zeit für eine Friedensbewegung“, betonte der Bremer Bürgermeister zum Abschluss seiner Rede.
Markova, Inhaberin zweier Masterstudienabschlüsse der Violine mit weltweiter Konzerttätigkeit, und Cherpanov spielten Tschaikowski. Bertash, in St. Petersburg geboren und bis 2000 dort wohnhaft, berichtete von seiner Mutter, die 1952 in die DDR ging, von versöhnlichen Gesten zwischen Russland und Deutschland, von russischen Kaiserinnen, die deutsche Prinzessinnen waren, einer Oldenburger Prinzessin, die in Russland Ordensfrau wurde und in Russland Heilige sei. Musik, Wirtschaft und Seefahrt würden die Länder verbinden, die St. Petersburger Textilindustrie sei von einem Bremer begründet worden. Petrus sei Apostel Petersburgs und Bremens (St. Petri). Lohse ergänzte um die Simon-Petrus-Kirche und dankte für das Fundament an Verbundenheit, das Bertash gelegt habe.
"Zwischen zwei Welten"
Etwas Erotisches und den Hummelflug kündigte Markova an. „Verflechtungsgeschichte“ nannte Kissel seine Forschungsergebnisse zur deutsch-russischen Geschichte. Er erzählte von Migrationsströmen über Jahrhunderte: von Westpreußen nach Russland, vor dem Ersten Weltkrieg seien 2,4 Millionen Menschen auf der Suche nach Wohlstand gewesen. Hunderttausende Menschen seien nach Amerika emigriert. Kissel kam über die Migrationen zwischen Deutschland und Russland zur Perestroika und berichtete über die Befürchtungen Estlands, Litauens und Lettlands aufgrund des Ukraine-Konflikts gegenüber Russland.
Erstmalig redete ein Schaffer: Gennady Kuznetsov. „Zwischen zwei Welten“, begann er. „Für mich ist das Leben zwischen Deutschland und Russland zum Schicksal geworden.“ 1963 in Tula geboren, habe er gelernt: Deutsche seien Faschisten, aber auch sympathisch und feinfühlig. Ein deutscher Offizier habe seine Mutter vor Soldaten beschützt. Als erste Fremdsprache habe er sich für Deutsch entschieden – er sei damit allerdings lediglich einer von vier Schülern der gesamten Schule gewesen. Er habe Lyrik auswendig gelernt, allerdings noch ohne die Inhalte zu verstehen. In jedem Schuljahr habe er eine Fünf bekommen, die beste erreichbare Note. Kuznetsov studierte Pädagogik und Deutsch. Im Alter von 26 Jahren durfte er das erste Mal in die damalige DDR reisen. „Die DDR und die Sowjetunion gibt es nicht mehr“, sagte Kuznetsov. 1992 sei er als Russe in Deutschland „interessant und beliebt“ gewesen. 2007 sei er per Stipendium nach Bremen gekommen und fühle sich nun in zwei Welten zu Hause. „Das ist komplizierter als zwischen zwei Stühlen zu sitzen“, endete er und bekam großen Applaus für die persönlichen Bekenntnisse.
Lohse stellte – nach Bremer Hühnersuppe, Braunkohl mit Pinkel, Maronen und Beilagen sowie Bremer Rote Grütze – den gewählten Novizen André Tülp vor, der für ein Jahr, bis er Schaffer wird, Aufgaben übernehmen muss. „Zum Beispiel morgen früh das Wachs von allen Kerzenleuchtern putzen“, scherzte Lohse. Bei Schokolade, Kaffee und Cognac wurden Spendenzusagen eingesammelt sowie die Lieferanten für Festzutaten verlesen. Die Spenden sollen für Baumängel, Erzieherinnenstellen und Kantor sowie die Verleihung des Friedenspreises verwendet werden. Am Sonnabend stand die Summe der Spendenzusagen fest: 18 790 Euro.